Gastbeitrag: Everything – Ein spirituelles Game für PS4 und PC
Der folgende Gastartikel wurde mir von Tanja Braid zugesendet. Eine schreibgewandte und sympathische Autorin mit einem großen Interesse für Spiritualität, um Bezüge im Alltag zu entdecken…
In “Gastbeitrag” geht es um die Erfahrungen der Besucher meines Matrixblogs. Wer Interesse hat, seine außerkörperliche Erfahrung oder seinen luziden Traum oder ein spannendes wahres Erlebnis aus seinem Alltag in meinem Blog zu veröffentlichen, kann mir solches gern zusenden. Dieses könnte auch eventuell in einem meiner Bücher publiziert werden. Ich freue mich auf Eure Zuschriften.
Sie berichtet von einem neuen Computerspiel, das nicht nur philosophische Bezüge aufweist, sondern zeigt auch die Möglichkeiten des Bewusstseins…
Tanjas Gastbeitrag
“Daher ist der eigene Weg jedes einzelnen der eigene Weg des Universums.” – Alan Watts
Das Spiel Everything
Man stelle sich vor, wie alles begann. Riesige Galaxien wälzen sich durch das Universum, kollidieren miteinander und strecken ihre Jetstreams vor, wie glühende Lanzen in einen dunklen Raum. Weiße Zwerge. Blaue Riesen. Ein gesprenkeltes Feld voller Lichter, Sterne, Planeten, Monde … Darunter, irgendwann, die Erde. Eine blaue Perle im Kosmos, die sich im Glanz der Sonne dreht.
Riesenlibellen fliegen über eine Farnlandschaft, Eiszeiten kommen und gehen, und dann bist du da. Du bist ein Tropfen im Wasser, eine Welle, ein Ozean. Du bist das Rauschen der Blätter, ein Stück Treibholz, ein unverrückbarer Stein. Du bist ein Stör, eine Möwe, eine Antilope. Du bist ein Mensch und die anderen sind du. Du bist ein Baum, der sich im Sturm schüttelt, du bist der Sturm, der über das Land zieht, du bist das Land, das an den Ozean grenzt, du bist der Ozean, der an den Kontinent grenzt, du bist der Kontinent, der von der Erde getragen wird, du bist die Erde, die von der Sonne gehalten wird, du bist die Sonne,die in der Galaxie ist. Weiße Zwerge, Blaue Riesen. Riesige Galaxien wälzen sich durch das Universum, kollidieren miteinander und strecken ihre Jetstreams vor, wie glühende Lanzen in einen dunklen Raum. Man stelle sich vor, wie alles begann.
Man könnte meinen, in einer Endlosschleife gefangen zu sein, doch genau diese Simulation bildet das neue Spiel, “Everything”, nach, das seit April 2017 für Playstation 4, Windows, Mac und Linux erhältlich ist.
“Everything” ist ein völlig neuartiges Spiel, ein Ausnahmespiel, entwickelt vom irischen Künstler David O’Reilly, der sich unter anderem mit dem Spiel “Mountain” einen Namen gemacht hat.
Alan Watts wiederum, ein bekannter und populärer Philosoph unserer Zeit, wurde hierzu ebenfalls reichlich zitiert, denn sein Gedankengut kommt während des Spiels aus dem Off. Zu Alan Watts sei gesagt, dass er zahlreiche Bücher über die Wirklichkeit, die Identität und über das menschliche Bewusstsein geschrieben hat, die den Geschmack auf eine ähnliche Weise trafen, wie es Osho seinerzeit gelungen ist, nur dass Watts sich am Zen-Buddhismus und am Daoismus orientierte, während Osho sich am Hinduismus und an seiner eigenen Person orientierte.
Der Spieler erfährt sich in “Everything” – wie es der Titel verspricht – in allem. Er kann sich als Bakterium erleben, umgeben von Pollen, Staubkörnchen und anderen Zellen. In dieser Mikroperspektive erfährt er sich selbst als Bakterium und kann durch Tastenklick in das Mindset eben jenes Bakteriums blicken, um herauszufinden, was es denkt und fühlt. Ebenso kann er durch Tastenklick in die anderen Objekte und Körper wechseln, um herauszufinden, was diese denken und fühlen. Wie sie sich empfinden. Mit einem nächsten Tastenklick kann er ein Kieselstein sein oder ein Hase, der mit einem Stein korrespondiert.
Via Tastendruck kann also alles, Tiere, Pflanzen, Gegenstände, in Besitz genommen werden. Erlebt und durchwandert wird das Spiel gemäß dem hermetischen Prinzip “wie oben, so unten”. Das heißt, dass man sich vom Kleinsten bis zum Größten, vom Atom zum Universum, bewegt und wieder zurück. Alles ist in sich gespiegelt und reflektiert, wie z. B. das kleinste Blatt eines Farnsein genaues Abbild des Farns ist. Das ist die Grundstruktur des Spiels, sowie das zentrale Denken Alan Watts.
David O’Reilly ist hier sicherlich ein großer Wurf gelungen, wenngleich die Grafik etwas gewöhnungsbedürftig ist. O’Reilly hat den Anspruch eines Künstlers, und ein Kunstwerk ist dieses Spiel allemal, doch die weichzeichnerische Szenerie, die – banal ausgedrückt – wie verpixelt rüber kommt, ist etwas speziell. Es fehlen die Details, die Oberflächen sind einfarbig und glatt. Man fühlt sich an die Frühzeit der Videospiele erinnert; mit visuellen Verspieltheiten, die selbst am äußersten Horizont noch glasklar und tiefenscharf sind, wartet das Spiel nicht auf, doch das will es auch nicht.
Zunächst wirkt alles etwas niedlich, bizarr und extravagant. Die Tiere gehen nicht auf allen Vieren, sondern sie rollen sich vorwärts von Situation zu Situation, was etwas befremdlich wirkt. Dennoch wird nach und nach ein ganzheitliches, meditatives Erleben generiert, das vor allem durch die ruhige Stimme aus dem Off und der wunderschönen Musik getragen ist. Langsam gleitet man in dieses Erleben hinein, in diese Welt, die absurd ist, ernst, tiefsinnig und intim. Alan Watts Gedanken hierzu sind wohltuend und erhellend – jedoch ist gutes Englisch Voraussetzung.
Die Makroperspektive dagegen ist atemberaubend. Rotierende Galaxien tanzen einen Reigen vor und in farbigen, leuchtenden Nebeln, die Musik ist so berührend, dass manche Spieler schon berichteten, dass sie mit tränennassen Wangen davor saßen. Hier, in der Makroperspektive, scheint mir „der Weichzeichner“ auch komplett rausgenommen.
Die GameTube-Vorstellung des Spiels ist übrigens interessant, jedoch interessant mit einem negativen Vorzeichen. Da dieses Spiel einzigartig in der Geschichte des Videospiels ist, fällt es offenbar vor allem den passioniertesten Gamern schwer, es angemessen zu beschreiben. Ein Shooter ist es ja nicht. Adventure? Auch nicht. Jump and Run? Weit gefehlt.
So sind die Kommentatoren bei GameTube anfänglich noch über das Spiel amüsiert, da sie mit den Gedanken eines Büffels so wenig anfangen können wie mit der Philosophie Alan Watts. Hier ist die Irritation deutlich fühlbar. Doch je länger sie das Spiel beschreiben und vorführen, umso ernsthafter und berührter werden auch diese.
Das Spiel hat also durchaus einen durchschlagenden Effekt auf die spirituelle Verkrustung als solche.
Ich persönlich finde die Idee, sich in einer Simulation als Zelle, Staub, Esel, Berg – als Alles – erleben zu können, großartig. Und überfällig. Seit dem Spiel “Black and White” aus 2001, das auch nur ungefähr in dieselbe Bresche schlug wie nun “Everything”, waren in der Gamer-Szene meines Wissens nach Themen wie Spiritualität und/oder Philosophiestets nur marginal vertreten, in Fantasy-Games zum Beispiel.
Die Final-Fantasy-Reihe zum Beispiel präsentierte zwar interessante Ideen, wir erinnern uns sicher noch an “Jenova”, doch wie in der ganzen japanischen Animetradition üblich, die ja auch in die Spiele hinübergreift, wird oft nur das russische Babuschka-System zitiert: Eine Puppe ist in der Puppe ist in der Puppe. Ein Gott ist im Gott ist im Gott. Oder: Ein Gott ist in der Maschine und in der Maschine ist ein Gott.
“Everything” geht einen anderen Weg. Hier stapfen keine Riesengötter durch die Landschaft, wie in “Black and White”, und hier gibt es auch keinen Endgegner und/oder ein zu erlösendes Urübel, wie Jenova.
“Everything” ist ein “Erfahrungsspiel” – so meine Bezeichnung. Der Spieler hat erstmals die Möglichkeit, sich selbst und die mannigfaltigsten Bewusstseinszustände durch den mikroskopischen und makroskopischen Blick zu erfahren. Und das einzige, was es zu erlösen gilt, ist er selbst.
In diesem Sinne ist dieses Spiel ein höchst ästhetisches, neuartiges und angenehmes Werkzeug, um sein Bewusstsein zu erweitern, insbesondere dann, wenn nach einem langen Arbeitstag die Motivation für eine Meditation im Lotussitz gleich “null Bock” ist.
Mein Fazit: 8,5 Sterne. Absolut empfehlenswert.
Verfasst von © Tanja Braid
Quellen:
Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=JYHp8LwBUzo
Der Standard: http://derstandard.at/2000055371411/Everything-im-Test-Die-Kunst-ein-ganzes-Universum-zu-spielen
GameTube: https://www.youtube.com/watch?v=unKbYoXGodM&t=1281s
http://store.steampowered.com/app/582270/Everything/