Träume alternative Realitäten

Traumnacht: Das Zauberreh

Sonnenstrahlen gelangten vereinzelt durch das Blattwerk der riesigen Kastanie und färbte den Wald mit einem wunderschönen Laubbraun ein. Blätter fielen von den Bäumen, wurden vom Wind erfasst und fortgetragen. Es war ein besinnlicher Moment als ich im Wald stand.

Hier hatte ich in meiner Kindheit oft gespielt. Die zwei alten Lauben mit dem Flachdach, der riesige Kastanienbaum, der majestätisch und beschützend seine Äste über die kleinen Dächer und die Lichtung ausbreitete und der schöne, geschwungene Weg, den ich so oft entlanggerannt war. Zur Spätsommerzeit hatte ich mit meinen Freunden häufig alte, große Äste gesucht und sie in diesen Kastanienbaum geworfen. Die Kastanien mit ihrer stacheligen Ummantelung fielen daraufhin zu Boden und platzten oft auf, sodass eine schöne, braun-glänzende Kastanie zum Vorschein kam. An solchen Spielen nahmen natürlich immer nur Jungs teil, die Mädchen hatten andere Sachen zu tun, die erledigt werden mussten – Gummi-Twist oder Barbie-Spielen fielen mir da spontan ein.

Überaus deutlich erinnerte ich mich an diese Zeit, so deutlich, dass ich meine damaligen Freunde und meine Wenigkeit für kurze Augenblicke sogar im Wald herumlaufen sah:

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“Ich will nicht wissen, wie viele Äste schon dort oben auf dem Flachdach liegen! Das müssen ganz schön viele sein!”, rief einer der Jungs.

“Oh ja! Bestimmt tausend!”, rief ein anderer.

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Ich rannte auf einen Hügel, von dem ich mir eine bessere Aussicht versprach: “Hey, ich kann sie sehen!”

“Was denn?”

“Na, die Äste, man.”

Mit dem Zeigefinger zeigte ich auf das Flachdach. Dort hatten sich in der Tat einige Äste angesammelt, die nach dem Wurf in den Kastanienbaum manchmal dummerweise auf dem Dach gelandet waren und dann unerreichbar für uns blieben.

“Echt? Die will ich auch sehen!”

Die beiden Freunde kamen zu mir heraufgerannt und wollten ebenfalls unbedingt sehen, wo die tausend Äste abgeblieben sind, die wir ewig oft geworfen hatten…

“Boah, guck mal! Das sind ganz schön viele.”

Dann ging ich langsam weiter und ließ diese Erinnerung hinter mir.

Ich spazierte einen breiten Weg entlang und traf dann auf zwei Freundinnen. Wir begrüßten uns. Ich zeigte ihnen die Umgebung, damit sie sehen konnten, wo ich als Kind immer gespielt hatte. Sie waren begeistert von dem schönen Wald, der seinen eigenen, deutlich spürbaren Zauber besaß.

“Ist das schön hier!”, sagte eine der Freundinnen.

“Schau hier!”, forderte ich sie auf. “Der Boden besteht überwiegend aus Wurzeln. Er ist richtig stabil und man kann hervorragend auf ihm laufen.”

“Ja, stimmt. Und wie das alles von den Bäumen überdacht wird, es ist wie ein verzauberter Weg…”

Nun schaute mich die andere Freundin an und grinste. Ihr Grinsen wich plötzlich einem überraschten Ausdruck: “Sieh mal dort! Ein Reh!”

Wir blickten uns um und sahen es sofort. Das rotbraune, zerbrechliche Geschöpf ging leichtfüßig über den Waldboden und stöberte im Laub. Es war ein magischer Moment hier auf dem verwurzelten Boden zu stehen mit den schützenden Bäumen und in der Gegenwart eines Rehs, das keine Angst zu haben schien trotz unserer Worte, die wir austauschten.

“Du suchst auch nach dem Zauberreh, oder?”, meinte die Freundin, die das Reh entdeckt hatte.

Ich beobachtete an ihr das gleiche Grinsen wie vorhin, das über ihre Lippen huschte. Ihr Blick wirkte so, als erwartete sie eine Antwort. Ich nickte.

“Das stimmt. Irgendwie wartet jeder auf sein Zauberreh, dass es wie aus dem Nichts auftaucht und unser Leben verzaubert. Alles verändert und uns ein unbezahlbares Geschenk macht”, sagte ich und blickte wieder auf das Reh.

“Vielleicht begegnet es dir irgendwann einmal…”

“Ja, vielleicht… aber eigentlich steht dort doch schon eins!”, sagte ich und wir lachten.

“Was denkst du denn, was das Zauberreh dir mitbringen wird?”, hakte sie nach.

“Ich weiß es nicht. Vielleicht einen Traum…”

“Oder einen Albtraum?”

“Wenn es einen Albtraum sein wird, dann muss es auch der fürchterlichste und schrecklichste sein, sonst hat es keine Wirkung! Nur die Albträume können uns ändern.”, antwortete ich.

Dann erwachte ich in meinem Bett. Noch immer war ich umhüllt von dem magischen Moment im Wald und elbstbewussten Reh. Ich dachte über den Kastanienbaum, das Flachdach, die Äste und den Wald nach. Nicht ein Element dieses Traumes stammte aus meiner Vergangenheit! Es hatte sich hierbei um die Erinnerungen eines anderen Jonathans gehandelt, der in einer anderen Welt mit einer anderen Umgebung groß geworden war. Mittlerweile sind es so viele Erinnerungen anderer Jonathane, die mein Gedächtnis gesammelt hat mithilfe der vielen Träume, dass ich wirklich kaum noch sagen kann, was denn nun meine tatsächliche Vergangenheit gewesen ist. Die Erinnerungen der anderen Jonathane sind so klar, manches Mal sogar viel klarer als alle anderen. Erinnerungen sind wie Blätter im Wind, die von den Bäumen fallen. Sie landen auf dem Boden, formschön, geschwungen, knisternd… doch wenn wir einmal über sie gehen, werden sie flach und zerbröseln. Manchmal zerbröseln sie dermaßen, dass wir gar nicht mehr genau sagen können, um welches Blatt es sich wohl gehandelt haben mag.

Matrixblogger - Jonathan Dilas Bücher
2008-09-18

3 Kommentare

  1. hallo jonathan!
    das war eine sehr schöne erfahrung die du uns hier geschenkt hast. deine parabel ist dir gut gelungen. und das bild ist wie aus einem märchen gemacht! viewlleicht hättest du sagen müssen das man draufklicken kann.
    ganz liebe grüsse an dich! franzi

    Franziska Wender
  2. Da komme ich grad ahnungslos von der Arbeit und seh dann gleich so ein Schmuckstück! Gruß, Hendrik

  3. Nicht nur die Ängste verändern einen Menschen, sondern auch seine Wünsche. Er muss sie sich nur mit der gleichen Intensität wünschen, wie er seine Ängste fürchtet, aber besser ist, er wünscht sie sich mehr. Doch dafür muss er sich seinen Ängsten stellen, in sie hineinspringen, sie durchforsten, kennen lernen – denn was Mensch kennt, macht ihm nicht mehr so viel Angst. Aber die Wünsche, die er kennt, wünscht er sich um so intensiver.

    Drum ist es wichtig, sich weder das eine zu versagen noch das andere zu fliehen, sondern vielmehr beides zu erfahren, DANN gehen dem Menschen mehr Hoffnungen als Befürchtungen in Erfüllung.

    Und: Nicht glauben, sondern ausprobieren.
    Was kann es schaden?

    Andreana

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