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Retrieving: Die alte Dame: Sie checkt jetzt aus

Retrieving

Wieder laufe ich durch die Gänge des großen Krankenhauses. Kurze Zeit später befinde ich mich dann schon im Zimmer der alten Dame.

“Ach, schön, dass Sie mich wieder mal besuchen.”

“Ich wollte mal sehen, wie es Ihnen geht und was Sie so machen…”, sage ich.

“Mir geht es schon viel besser. Ich habe gehört, dass ich nächste Woche vielleicht entlassen werde.”

“Oh, so schnell? Das ist doch gut.”

Ich weiß, dass sie schon seit einiger Zeit tot ist und in dieses Krankenhaus gebracht wurde, damit sie sich erholt und lernt, sich schrittweise von ihren Überzeugungen zu lösen, dass sie noch einen physischen Körper besitzt. Mittlerweile sieht sie schon 20 Jahre jünger aus und stellt schon einen Unterschied dar, ob man 90 oder 70 Jahre alt ist.

“Dann wünsche ich Ihnen das Allerbeste und dass Sie bald wieder hinaus in die große Welt gehen dürfen.”

“Ich habe mich selten so gut gefühlt! Irgendwie habe ich jetzt wieder Lust, was zu machen. Ein neuer Lebenssinn”, sagt sie und beschäftigt sich dann auch schon wieder mit etwas anderem.

“Dann wünsche ich Ihnen das Beste. Bis bald”, sage ich und verlasse das Krankenzimmer.

Draußen auf dem Flur kommt mir der “Arzt” entgegen. Wir können durch eine Scheibe in ihr Zimmer schauen. Die alte Dame kann diese Scheibe von innen nicht sehen.

“Ja, ihr geht es schon viel besser…”, sagt der Arzt und lächelt.

Irgendwie weiß ich, dass er kein Arzt ist, wie man ihn aus unserer Alltagsrealität kennt. Er ist vielmehr ein Koordinator oder Planer, der sich mit den Überzeugungen der Menschen auskennt und sie zu verändern weiß.

“Weiß sie überhaupt, dass sie tot ist.”

“Sie ist ja nicht tot!”, entgegnet er.

“Na ja, ich meine, weiß sie, dass sie ihren physischen Körper verloren hat?”

“Im Moment noch nicht. Wir planten, ihren letzten Lebenspartner einfach in ihr Zimmer zu schicken, aber ich glaube, dafür ist sie noch nicht weit genug.”

“Soll ich ihr das vielleicht mitteilen oder es ihr schonend beibringen?”, schlage ich vor.

“Nein, dafür haben wir unser Personal. Die erledigen das schon. Vielen Dank.”

Vor meinem Auge erblicke ich dann eine mögliche Szene, in der ich in ihr Zimmer stürme und ihr aufgeregt mitteile, dass sie doch schon lange tot ist und dass sie das doch endlich erkennen soll. Dann verwerfe ich diese Möglichkeit und verstehe, dass es wirklich besser ist, wenn sich jene darum kümmern, die auch vertraut mit dieser Arbeit sind.

“Wir werden sie aber vermutlich nächste Woche entlassen. Bis dahin haben wir uns etwas einfallen lassen”, erklärt er mir.

“Dann wünsche ich Ihnen gutes Gelingen”, sage ich zu dem Arzt und er lächelt mich wissend an.

Ich beschließe dann wieder in meinen Körper zurückzukehren.

Als ich wieder wach im Bett liege, ist es schon hell draußen. Ich finde es interessant, dass ich auf eine bestimmte Weise an dem Werdegang der alten Dame teilnehme. Ich erinnere mich noch daran, zu Zeiten als sie noch lebte, dass, wenn ich in ihrer Gegenwart über ihren baldigen Tod nachdachte, den Eindruck besaß, dass sie mir damit auch etwas zeigen wird.


Siehe auch die anderen Teile:

Die alte Dame checkt aus

Die alte Dame: Sie ist gegangen

Die alte Dame: Letzte Vorbereitungen

Die alte Dame: Alter und Weltenverschiebungen

Die alte Dame: Verwunderung

Abschließender Bericht

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