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Suche nach Erleuchtung: Des Tarners Regeln II (Teil 12)

Suche nach Erleuchtung

Dann löste ich mich aus der Szene mit dem alten Mann und schoss hoch hinauf, zurück in die Fraktale. Dort sah ich zum ersten Mal noch viel fremdere Alternativen. Es war nicht so, dass sie tatsächlich fremdartig waren, sondern sie lagen außerhalb der gewohnten Routinen und Wiederholungen, die man im Alltag zur Verfügung hat. Ich verstand es so, dass sie ebenso anwählbar waren wie all die normalen Alternativen. Die fremdartigen Alternativen waren wie die Nutzung der verrücktesten, psychischen Fähigkeiten. So extrem wie in den Comicverfilmungen die Superhelden fliegen, teleportieren oder durch Wände zu laufen und noch ganz andere Möglichkeiten wie direkte Beeinflussung der DNA, beliebige Formung des Körpers und die verrücktesten Dinge. Es waren wirklich unfassbare Alternativen, die ich gar nicht allesamt wiedergeben kann. Dann erblickte ich abermals meine Realität, in der ich mich aufhielt. Sie wirkte im direkten Vergleich dazu so langweilig, unfassbar begrenzt und für alle Menschen so eingefahren. Jeder Mensch wurde darin unterrichtet, Bewährtes zu imitieren und fest eingefahrene Wege zu verfolgen, die aufgrund Erzählungen anderer Erfolg versprachen. Kurz darauf sah ich, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens immer weiter seinen Weg automatisch geht. Aufgrund der Tarnung und der Spielregeln, die nur jenseits des Labyrinths bekannt waren, aber ansonsten systemweit absolute Gesetze waren, selbst dann, wenn man ihrer nicht bewusst war, blieb keine andere Möglichkeit, dem Spielverlauf zu folgen, wenn man ihm einmal zugestimmt hatte. Im Labyrinth sah ich einige Menschen, die ich kannte und auch welche, die ich nicht kannte. Manche sträubten sich, wie ich nun im Labyrinth erkennen konnte, und wehrten sich gegen die Regeln, doch es gab keine andere Möglichkeit, als sich ihnen zu fügen. Wer einmal das Spiel betreten hatte, musste es absolvieren, und wenn es Jahrtausende dauerte.
Ich fragte mich, ob es einst meine Ganzheit des Selbst gewesen war, die diesem Spiel zugestimmt hatte. Um sich dieser gewaltigen Herausforderung zu stellen, hat sie sich in ihre Bestandteile aufgelöst und Tausende ihrer Selbste in sämtliche Realitäten ausgesandt, um das Spiel zu lösen. Das Ende des Spiels wäre eine Wiedervereinigung mit der Ganzheit inklusive all der erlangen Lebenserfahrungen der unterschiedlichen Selbste. Diese Erfahrung würde den Weg in fremde Welten erleichtern und neue Wege ebnen, die zuvor nicht begehbar gewesen waren.

Ich erhielt Milliarden an Informationen. Sie kamen auf mich zugeschossen und verschwanden in ebenso schneller Geschwindigkeit wieder. Ich erkannte, dass Spielebene 1 (Level 1) sich im Laufe des eigenen Lebens immer mehr zusammenzog. Es war, als würde man in einer Schraubzwinge sitzen, die die Realität immer mehr verengte und zusammenpresste. Der Drang nach Freiheit verstärkte sich zunehmend, je älter man wurde. Diese Spannung wurde dann derart unerträglich, dass sie durch den Wechsel auf Spielebene 2 (Level 2) ihre absolute Entspannung erfuhr. Ich erhaschte einige Augenblicke aus dieser Zukunft und von Ebene 2, sodass ich eine wunderschöne, unendliche Realität erblickte. Sie war dermaßen gewaltig groß, dass Millionen Planeten in sie hineingepasst hätten. Fremdartige Bäume, Wiesen, Blumen, Himmel und diese Realität wirkte wie eine höher-dimensionale Version des vertrauten Alltags. Ebene 2 war die Katharsis von Ebene 1, so schien es mir. Und dort gab es weitere Spielebenen, doch sie waren so weit entfernt, sie lösen zu wollen, weil man erst einmal dort ankommt, um notfalls Jahrhunderte lang zu entspannen und Spaß zu haben. Erst wenn einem wieder langweilig werden würde, könnte man sich zu Spielebene 3 aufmachen.

Im Anschluss an all diese Dinge, die ich gesehen hatte, kehrte ich wieder zurück zu dem alten Mann, der noch immer dort saß als wäre ich niemals fort gewesen.

„Bist du zurück von deinem netten Ausflug?“, begrüßte er mich.

„Das bin ich!“, erwiderte ich und vibrierte innerlich, weil mich all diese Einsichten und Erkenntnisse dermaßen verblüfft und erstaunt hatten, dass ich noch immer nicht darüber hinweggekommen war. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Mein Alltagsselbst mit seinen eingeschränkten Fähigkeiten wirkte wie ein blasser Schatten meiner selbst.

„Das alles hat mich sehr ergriffen“, fuhr ich fort. „Es ist mir in diesem Moment sogar gleichgültig, ob ich jemals wieder in meinen Alltag zurückkehren werde oder nicht. Diese unendlichen Möglichkeiten, die mir offen stehen, sind so zahlreich, dass ich es nicht verstehen will, warum ein Mensch sich so lange in dieser stark begrenzten Alltagswelt aufhält. Was hat dies für einen Sinn? Warum engt er sich dermaßen ein, dass er nicht einmal erinnern kann, dass er seine vielen Möglichkeiten vergessen hat. Es ist ein aussichtsloses Spiel. Kein Wunder, dass sie alle daran zerbrechen.“

Der alte Mann lachte: „Niemand zerbricht. Das Einzige, was zerbrechen kann, ist dein Klon und er besitzt keine andere Funktion als genau das zu tun. Du hast ihn in mühevoller Arbeit geschaffen, sozusagen aus Lehm geformt, um eine Kopie zurückzulassen. Sie wird eines Tages einfrieren und für die anderen Menschen deutlich sichtbar zurückbleiben. Alle werden glauben, dass du tot bist, doch in Wirklichkeit wirst du in ungeahnte Höhen schwingen, wenn du Ebene 1 gelöst hast! Du wirst aufschwingen in unfassbare Welten und kein Mensch wird Verdacht schöpfen. Die Tarnung muss erhalten werden – zumindest bis zum kollektiven Erwachen.“

„Das kollektive Erwachen? Werden alle Menschen eines Tages die Tarnung durchschauen und erwachen?“, hakte ich nach.

„Ja, eines Tages…“

„Wird es noch lange dauern?“

“Es wird noch sehr lange dauern. Wenn du in deinem jetzigen Leben Spielebene 1 löst und Ebene 2 betrittst, dann kannst du davon ausgehen, dass es für dich keine Bedeutung mehr haben wird, was aus den anderen wird. Du gehst dann deine Wege. Vielleicht wirst du helfen, vielleicht aber auch für immer an die entferntesten Orte verschwinden, die sich ein Mensch vorstellen kann.“

„Wie kann das alles sein? Wie kann es kommen, dass all die Menschen so sehr mit dem Spiel beschäftigt sind, dass sie nicht einmal mehr wissen, dass sie spielen? Im Gegenteil, wenn man ihnen erzählte, wie es eigentlich aussieht, würden sie mich auslachen!“

„Das ist richtig, aber es sollte dir gleich sein. Wenn nur ein  Mensch deine Worte mit seinem angesammelten und in Intuition umgewandeltes Wissen aus anderen Leben, also Spielversuchen, versteht, dann hast du schon eine große Tat vollbracht“,  entgegnete er.

„Bringt es für mich überhaupt etwas, mit anderen drüber zu sprechen oder das Wissen, das ich hier erlangt habe, für andere zugänglich zu machen?“

„Du wirst mit Sicherheit mehr Spott ernten als Lob, aber wie gesagt, sei es nur einer, den du aus seinem Schlaf erweckst, dann war es nicht vergeblich.“

Seine Worte verklangen in meinem Geist und ich kehrte wieder zurück in meine vertraute Alltagswelt. Als ich in meinen Klon wechselte, versuchte ich so viele Informationen festzuhalten wie es ging. Viele Dinge entglitten mir wie feinster Sand zwischen den Händen, aber einiges konnte ich retten. Ich war also wieder zurückgekehrt in meinen Alltag. Das Bett, der Baldachin, der Schrank, die Lampe… mein Schlafzimmer.

Irgendwie fühlte ich eine Spaltung in mir. Ich war glücklich, unbeschadet zurückgekehrt zu sein, aber gleichzeitig wollte ein Teil in mir nicht verstehen, welchen Sinn es eigentlich noch hatte, hierzubleiben. War der Klon denn nicht schon fertig? Konnte ich eigentlich nicht schon lange das Feld räumen und verschwinden? Doch der andere Teil hatte auch in meiner Alltagsrealität noch interessante Pläne und wollte diese erst einmal umsetzen. Ganz weit hinten spürte ich aber noch einen anderen, dritten Teil, für den es völlig gleichgültig war, ob er nun ginge oder bliebe.

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